Die Entwickler von BioWare sind vor allem durch die Dragon Age- und Mass Effect-Reihe bekannt geworden. Doch mit den letzten Ablegern fing das gute Image an zu bröckeln. Mit Anthem ging man nun einen komplett neuen Weg. Weg von der bloßen Singleplayer-Erfahrung hin zu einem kooperativen Multiplayer. Also ein Titel, welcher mit Genre-Kollegen wie Destiny und The Division konkurrieren soll. Schafft BioWare den Spagat zwischen Online-Komponente und Storytelling? Wir haben uns den Loot-Shooter für PlayStation 4 angeschaut.
Als Freelancer an der generischen Sci–Fi-Front
In Anthem schlüpft ihr in die Rolle eines Freelancers, einem Javelin-Elitepilot, welcher jedoch nach den verheerenden Geschehnissen und der Zerstörung durch die Hymne der Schöpfung ordentlich an Ansehen eingebüßt hat. Nichtsdestotrotz seid ihr entschlossen Fort Tarsis als letzten Rückzugsort der Menschen zu beschützen. Um jedoch vor jeglichen Gefahren gewappnet zu sein, gilt es gemeinsam mit eurem Team jeden Job anzunehmen, um wieder zu alter Stärke zurückzukehren.
Mit Hilfe der Javelins, verschiedenen Kampfanzügen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, seid ihr selbst schier übermächtigen Gegnern gewachsen. Zudem seid ihr nie allein unterwegs. Die verschiedenen Missionen könnt ihr stets mit bis zu drei weiteren Spielern in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden bewältigen.
Doch nicht nur die zahlreichen Kreaturen in der Welt von Anthem sowie die Scars stehen euch im Weg. Seit jeher gilt nämlich das Dominion als Widersacher der Freelancer. Erneut erhebt sich dieses aus dem Norden und bedroht den Frieden. Demnach wird es zu eurer Aufgabe, dass Dominion aufzuhalten und hinter die Mysterien dieser doch so fantastischen Welt zu kommen. Das Setting von Anthem ist jedenfalls ziemlich interessant und wurde auch entsprechend gelungen in Szene gesetzt. Die Handlung hingegen bleibt über weite Strecken eher generisch und interessante Aspekte sind nur in den eher öde zu lesenden Kodextexten zu finden. Zumindest gibt es hin und wieder gute Zwischensequenzen zu bestaunen.
Auch die Dialoge erscheinen eher belanglos. Selbst mit unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten wird es nicht besser. Diese haben keinerlei Einfluss auf den Handlungsverlauf. Ihr erhaltet je nach Antwort lediglich Punkte. Zum Beispiel wenn ihr euch für die Freelancer oder eine der Fraktionen einsetzt. Demnach gibt es bestimmte Herausforderungen, um den Ruf einer Fraktion zu steigern. Damit lassen sich wiederum Blaupassen für neue Waffen und Ausrüstung verdienen. Euer Charakter lässt sich zudem nicht frei gestalten, sondern ihr könnt lediglich aus mehreren vorgefertigten Aussehen wählen.
Vorhin bereits als Rückzugsort der Menschen genannt, gilt Fort Tarsis als euer interaktiver Hub außerhalb von Missionen. Dort könnt ihr euch in der First-Person-Perspektive wie in einem kleinen Stadtabteil umherbewegen und mit NPCs sprechen und neue Missionen entgegennehmen. Wirklich viel hat Fort Tarsis jedoch nicht zu bieten und oft bewegt ihr euch nur stets hin und her und sucht nach der nächsten Interaktionsmöglichkeit oder Dialog-Option.
Vier abwechslungsreiche Javelins und ein gelungenes Gameplay
Bestenfalls bereitet ihr euch in der Schmiede schon mal für bevorstehende Missionen vor, indem ihr einen der Javelins wählt und diese individuell anpassen könnt. Insgesamt stehen euch nämlich vier unterschiedliche Javelins zur Auswahl, welche allesamt unterschiedliche Stärken besitzen und sich so im Gameplay unterscheiden. Wählen könnt ihr aus Ranger, Colossus, Storm, oder Interceptor. Zu Beginn des Spiels könnt ihr einen der Javelins wählen. Mit zunehmendem Level schaltet ihr dann die anderen nach Wunsch frei.
Jeder startet ganz zu Beginn jedoch mit dem Ranger, welcher ein klassischer Einsteiger- und Allrounder-Javelin ist, bei dem ihr nichts falsch machen könnt. Mit ihm könnt ihr zahlreiche Waffen ausrüsten und besitzt ausbalancierte Werte.
Colossus ist hingegen ein sehr mächtiger, aggressiver Tank, welcher sich auch gleichermaßen schwerfälliger bewegt. Dafür kann er auch mit sehr dicken Kanonen hantieren und sehr viel Schaden einstecken.
Storm lässt sich am besten mit einer Magier-Klasse vergleichen und verfügt daher auch über verschiedene Elementar-Fähigkeiten. Damit könnt ihr eine Menge Schaden an Gegnern austeilen, seid jedoch defensiv sehr schlecht aufgestellt. Demnach solltet ihr euch von Gegnern meist fernhalten und nur aus sicherer Entfernung angreifen. Darüber hinaus wirkt ihr eure Angriffe vorwiegend von oben.
Zu guter Letzt erwartet euch mit dem Interceptor ein sehr leichter Kampfanzug, welcher sich als Assassine unter den Javelins herausstellt. Er ist besonders flink unterwegs und kann sowohl schnell in Gefechte eingreifen als auch sich schnell zurückziehen. Statt mit Stärke zu punkten, zeichnet ihn vor allem seine Wendigkeit aus. Dazu verfügt er über doppelseitige Dolche, welche vor allem im Nahkampf zum Einsatz kommen.
Neben zahlreichen optischen Anpassungen, können natürlich auch unterschiedlichste Waffen und Ausrüstungsgegenstände angelegt werden. Ein klassisches Inventar, wie ihr es aus anderen Titeln kennt, gibt es hingegen nicht. Auch auf einen Skilltree müsst ihr verzichten. Stattdessen erhaltet ihr durch eure Ausrüstung und stärkere Waffen zusätzliche Verbesserungen und Fertigkeiten. Demnach entwickelt ihr die Javelins individuell und getrennt von eurem Charakter weiter. Durch den normalen Spielverlauf steigt das Level als Freelancer und gleichzeitig auch eure Stärke allgemein.
Singleplayer ohne Gruppen-Zwang
Mit Anthem erwartet euch als Einzelspieler eine Kampagne, welche euch rund 10 bis 15 Stunden beschäftigen wird, je nachdem ob ihr auch Nebenaufgaben erledigt. Der Fokus liegt hierbei natürlich vor allem auf PVE. Während der Story-Missionen folgt ihr stur euren Zielen und sobald ihr die Mission abgeschlossen habt, kehrt ihr nach Fort Tarsis zurück. Wer gerne mehr die Welt von Anthem erkunden möchte, kann unter dem Modus „Freies Spiel” Expeditionen starten. Unter anderem lassen sich so verschiedene Ressourcen finden und auch an zufälligen Events könnt ihr teilnehmen. Dabei ist es euch überlassen, ob ihr mit zufälligen anderen Spielern gemeinsam zur Erkundung aufbrecht und deren Unterstützung in Anspruch nehmt. Zwar landet ihr in einer Sitzung mit anderen Spielern, jedoch könnt ihr diese auch gleichermaßen ignorieren und euch allein durchschlagen. Es ist jedoch nie verkehrt, mit anderen Spielern zu kooperieren.
Neben den Story-Missionen könnt ihr zudem auch verschiedene Aufträge erledigen, welche mit Belohnungen einhergehen. Besonders tolle Schätze können jedoch die Legendären Aufträge beherbergen. Hierfür müsst ihr zunächst das Spiel durchspielen und genügend Fraktionspunkte durch Nebenaufgaben gesammelt haben. Je Fraktion lässt sich pro Tag ein legendärer Auftrag abschließen. Obwohl Anthem sich vor allem auf die Singleplayer-Erfahrung konzentriert, ist der Titel ohne Online-Verbindung nicht zu spielen, was etwas schade ist.
Am wohl besten gelungen ist das Gameplay von Anthem. Dazu gehört zwar nicht das eher eintönige Missionsdesign, dafür das sehr spaßige Gameplay mit den Javelins. Je nachdem für welchen der Javelins ihr euch entschieden habt, spielen sich diese nochmal ganz anders und verfügen über verschiedene Fähigkeiten. Erstmal in einen Javelin geschlüpft, macht sich ein wirklich tolles Gefühl breit, wenn ihr schwerelos durch die Lüfte gleiten könnt oder einen Sturzflug einleitet. Fast fühlt man sich schon so, als wäre man selbst Iron-Man.
Gegner könnt ihr entweder im Nahkampf zusetzen oder durch ein klassisches Waffenarsenal, aus Maschinengewehren, Scharfschützengewehren oder Schrotflinten. Ebenso lassen sich gezielt Granaten einsetzen. Storm hebt sich jedoch vor allem durch seine Elementarkräfte ab und schafft daher eine gute Abwechslung. Da ihr im Laufe des Spiels alle Javelins freischalten und spielen könnt, bleibt euch nichts verwehrt und ihr könnt entscheiden, zu welcher Mission ihr welchen Javelin nutzt.
In einem ausgewogenen Team von vier Spielern sollte im Idealfall jeder der vier Typen vorkommen. Dann gäbe es je einen Tank, Allrounder, Magier und Assassinen. Gestalten sich die meisten Kämpfe recht chaotisch, wird es als geeintes Team kein Problem darstellen, Gegner aus dem Weg zu räumen. Begebt ihr euch jedoch unachtsam in die Menge von Gegnern, werdet ihr recht flott das zeitliche segnen, sobald euer Schild bricht. Immerhin könnt ihr von anderen Spielern wiederbelebt werden. Ansonsten findet ihr jedoch auch allerhand Heilkugeln und Auffrischungen für den Schild. Das Gameplay macht auch nach einigen Stunden immer noch Spaß. Das liegt vor allem an der sehr angenehmen und präzisen Steuerung. Hier hat man auf jeden Fall punkten können.
Endgame und Technik
Bislang schaut das Endgame von Anthem sehr dünn aus. Bislang gibt es keine PVP-Komponente, sondern lediglich drei Gruppen-Raids – Festungen genannt. Die Festungen könnt ihr bislang nur als Gruppe bestreiten. Immerhin wartet auch entsprechend gute Belohnung auf euch. Nach Abschluss der Story-Kampagne, wird euch dies jedoch nicht lange halten. Abgesehen von fehlender Kommunikation zwischen den Spielern, fehlt es an einigen Stellen an Tiefgang. Ihr landet zusammen mit anderen Spielern in einer Session und verfolgt einfache Missionsziele. Oft müsst ihr Gegner ausschalten, Ressourcen sammeln oder mal einen Schalter auslösen.
Ein erstes kostenlose Update soll bereits im März erscheinen und den ersten neuen Akt einleiten. Neben neuen Missionen, Belohnungen und Events, könnten vor allem die Kataklsymen interessante Welt-Events darstellen, welche einen Blick wert sein dürften. Zum aktuellen Stand hat Anthem nach dem durchspielen jedoch kaum etwas im Endgame zu bieten. Eher folgt ein wirkliches Endgame in den kommenden Monaten. Auf einen langfristen Support ist jedenfalls zu hoffen. Einen Season-Pass oder kostenpflichtige Erweiterungen sind aktuell nicht angekündigt.
Angefeuert wird Anthem mit der hauseigenen Frostbite-Engine, welche für zahlreiche EA-Titel zum Einsatz kommt und eine besonders hübsche Optik auf den Bildschirm zaubert. Die Umgebungen, verschiedenen Kreaturen als auch die Effekte können überzeugen. Dazu laufen die Gefechte sehr flüssig ab und auch die Animationen sind gelungen. Neben Abschnitten in der Luft und am Land, könnt ihr euch auch in Unterwasser-Welten stürzen, damit erhält das Spiel auch in der Vertikale tiefe. Bisher verfügt das Spiel jedoch überwiegend nur über eine Region. Leider geht die hübsche Optik jedoch auch mit zahlreichen, oft längeren Ladezeiten einher. Nicht nur vor Missionen, sondern auch während Missionen können Ladezeiten auftreten, was ab und an den Spielfluss stört und einfach merkwürdig in den sonst sehr offenen Gebieten wirkt. Von Bugs wurden wir Gott sei Dank verschont. Einen Absturz mussten wir jedoch ebenfalls erleiden.
Der Sound ist ziemlich ordentlich. Dazu stehen sowohl eine solide deutsche als auch englische Tonspur zur Auswahl. Wahlweise können Untertitel in verschiedenen Größen eingeblendet werden.
Unser Fazit zu Anthem
Anthem ist gewiss kein schlechter Titel und vielleicht braucht es auch hier nur etwas Zeit, damit sich die Welt und vor allem das Endgame durch zukünftige Updates vollends entfalten können. Aktuell schaut Anthem vor allem verdammt gut aus. Im Bezug auf die Grafik macht die Frostbite-Engine einen guten Eindruck und liefert tolle, atmosphärische Umgebungen, welche euch in fremde Welten entführen und effektgeladene Kämpfe mit flüssigen Animationen auf den Bildschirm zaubern. Auch das Gameplay der Javelins kann vollends überzeugen und macht aufgrund der präzisen Steuerung und in Kombination unterschiedlicher Fähigkeiten, der untereinander sehr verschiedenen Kampfanzüge eine Menge Spaß. Vor allem das umherfliegen gibt euch ein Gefühl, als wärt ihr Iron-Man höchstpersönlich.
Gleichermaßen hat Anthem jedoch einige Ecken und Kanten. Abgesehen von der fehlenden Abwechslung in der Spielwelt, kann auch die Handlung kaum fesseln. Die Dialoge wirken schier belanglos und auch Entscheidungen haben keinen Einfluss. Die Missionen laufen immer nach dem gleichen Schema ab und der Endgame-Content ist zum aktuellen Stand arg dürftig im Umfang. Auch aus dem Hub von Fort Tarsis hätte man mehr rausholen und mehr Interaktion mit anderen Spielern ermöglichen können. Dazu werdet ihr von zahlreichen Ladezeiten und gelegentlich auftretenden technischen Problemen geplagt.
Damit reiht sich auch Anthem zum Start in die Riege der durchschnittlichen Loot-Shooter ein, obwohl das Gameplay mit den Javelins wirklich umwerfend ist. Dem Spiel fehlt es einfach an mehr Abwechslung und zusätzlichen Inhalten nach dem Ende der Kampagne. Zudem sind die technischen Probleme einfach ärgerlich. Bemühen sich EA und die Entwickler von BioWare mit den zukünftigen Updates, dann haben wir auf jeden Fall die Hoffnung, dass auch aus Anthem noch ein toller Titel wird.